Pressemeldung des KulturerbeNetz.Berlin vom 4.12.2025

PRESSEMELDUNG
Save Silicon Wedding – Wo bleibt die Bauwende?
Mit dem geplanten Abriss des „Silicon-Wedding“ würden 130.000 qm Nutzfläche vernichtet! Das muss und darf nicht sein. Initiativen und Experten fordern ein Umdenken in der Baupolitik.
Die ehemalige Nixdorf-Fabrik an der Gustav-Meyer-Allee unweit des Humboldthains – vor 40 Jahren als „Silicon-Wedding“ gefeiert – soll einer kompletten Neuplanung weichen. Deswegen steht nun die einst Computer produzierende Nixdorf-Fabrik auf der „Roten Liste bedrohter Bauten“ des Netzwerks KulturerbeNetz.Berlin.
Der jüngst beschlossene Bebauungsplan III-233-1 sieht für das neue „Quartier am Humboldthain“ eine Verdopplung der Nutzfläche und eine Verdreifachung der Bauhöhen vor. Das Netzwerk des KulturerbeNetz.Berlin begrüßt, dass der Standort entwickelt wird, bezweifelt aber, dass dafür ein Juwel der Industriearchitektur weichen muss.
„Wir brauchen dringend einen Paradigmenwechsel im Bausektor – weg vom Neubau, hin zum Um- und Weiterbau. Die vielfältigen Möglichkeiten, den Bestand zu nutzen, werden immer noch viel zu wenig in Betracht gezogen“, so der Architekt Karsten Feucht. Er sieht im Bestand eine wertvolle Ressource, die vom Preis von gestern für morgen zu Verfügung steht. Die stilistisch an den Palast der Republik erinnernde Computerfabrik bietet 130.000 qm Nutzfläche. Der Bau kostete 1984–1986 300 Mio. DM, also inflationsbereinigte 2.500 Euro/qm. Diese Substanz stünde kostenlos zur Verfügung.
Das KulturebeNetz.Berlin beklagt 2025 zahlreiche unnötige Abrisse, sei es das Bürohaus an der Urania, das Jahnstadion, das Landeslabor am Hauptbahnhof oder das Wohnhaus in der Mollstraße. Akut gefährdet ist auch das Sport- und Erholungszentrum an der Landsberger Allee, für dessen Erhalt seit langem engagiert gestritten wird. Dass diese sinnlose Praxis der Vernichtung von Ressourcen ein bundesweites Problem ist, verdeutlicht das vom KulturerbeNetz mit unterstützte Verzeichnis Abriss-Atlas.de. Dabei ist die vom Finanzmarkt getriebene, von der Politik kaum hinterfragte Praxis von Abriss und Neubau nicht nur Treiber innerstädtischer Gentrifizierung, sondern verursacht die Hälfte aller Abfälle und über ein Drittel aller CO2-Emissionen. Damit stellt sie Industrie, Flug- und Autoverkehr in den Schatten.
Obwohl diese Zahlen allgemein bekannt sind, wird nach wie vor leichtfertig abgerissen. Als ginge es hier rein um Geschmacksfragen argumentiert zum Beispiel Lutz Keßels, Geschäftsführer der “Quartier am Humboldthain GmbH“ (TSP 22.11.2025) fälschlicherweise, dass „dem Nixdorf-Bau keiner nachweine“. Auch das Argument, der „Nixdorf-Bau blockiere den Zugang zum Humboldthain“ ist Augenwischerei: An seine Stelle soll eine dreimal so hohe Blockrandbebauung entlang des Parks entstehen. Auch die Aussage, der Bestand „entspräche nicht den heutigen energetischen und funktionalen Standards“, so Laura Sander vom Bezirksamt Mitte (MOZ 1.4.2023) greift zu kurz, denn es gibt mannigfaltige Beispiele dafür, was durch energetische Ertüchtigung, Aufstockung, Erweitern bzw. Weiterbauen aus vorhandenen Gebäuden gemacht werden kann. Gerade die Nixdorf-Fabrik „ermöglicht durch ihr an Mies van der Rohe orientiertes Raster von 1,80 Meter und vorgefertigten Bauteilen kostengünstige Erweiterungen, Veränderungen und Ausbauen“ (Broschüre zum Gebäude-Konzept 1986, HNF-Archiv). Doch solche Möglichkeiten werden von Politik und Investoren kaum je ernsthaft geprüft.
Genau das wäre im Interesse des nachhaltigen Bauens aber notwendig. Abgerissene Gebäude verschwinden nicht spurlos und Neubauten fallen nicht vom Himmel. Ein Abriss erzeugt massenweise Abfall und Bauschutt, er vernichtet Material, Rohstoffe, die zur Erzeugung des Baus aufgewendete Energie und erzeugt vor allem erhebliche CO2-Emissionen. Also sollte nicht nur wer baut, sondern auch wer klimaschädlich abreißt, endlich zu einer ganzheitlichen Umwelt- und Energie-Betrachtung verpflichtet werden. Hierbei müssen die ökologischen Folgeschäden des Abrisses sowie der Material- und Energiebedarf des Neubaus berücksichtigt werden. Dafür haben über 70 Initiativen Vorschläge erarbeitet und sich zur Anti-Abriss-Allianz für Umbaukultur zusammengeschlossen.
Ähnliche Ziele verfolgt auch die Initiative HouseEurope.eu. Sie sammelt Unterschriften, um auf EU-Ebene mehr Nachhaltigkeit im Baurecht zu erwirken, indem etwa Umbauten steuerlich begünstigt werden und CO2-Emissionen in die Baukosten eingerechnet werden, statt sie auf die Allgemeinheit und jüngere Generationen abzuwälzen.
Hier macht die Denkmalpflege bereits vor, wie man – oft auch für Stadtbild und die Gesellschaft wertvolle – Anlagen in Wert setzen kann. Zwar stehen nur etwa drei Prozent aller Gebäude unter Denkmalschutz. Sie beweisen aber, dass Umbauten und energetische Ertüchtigung älterer Bauten selbst unter besonderen Ausgangsbedingungen und Auflagen möglich sind. Die auch von Architekten- und Handwerkskammern propagierte Ertüchtigung von Bestandsbauten sollte daher endlich auch die Leitlinie der Politik werden. Vor Genehmigung eines Abrisses muss die Umweltverträglichkeit ganzheitlich geprüft werden. Würden alle Umweltkosten des Abrisses eingepreist, wäre Erhalten, Umbauen und Weiterbauen die neue Norm.
Weitere Information
Eintrag zur Nixdorf-Fabrik in der Roten Liste:
https://kulturerbenetz.berlin/rote-liste-objekt/?id=168
Kontakt und Information
info@kulturerbenetz-berIin.de · www.kuIturerbenetz.berIin
Karsten Feucht, AG Rote Liste, Industriekulturmanager Berliner Zentrum Industriekultur (bzi)
Ben Buschfeld, Mitglied der AGs Rote Liste und Öffentlichkeitsarbeit, kenb@buschfeld.com