Herzkammern der Demokratie: Wo bleiben die Berliner Bürgerforen?
Das zwischen Kanzleramt und Abgeordnetenbüros geplante Bürgerforum ist durch die Bauleitplanung des Bezirks ein für alle Mal Geschichte und auch die Anlaufstelle für Beteiligung in der Torstraße hatte nur eine kurze Lebensdauer und ist wieder geschlossen. Einzig und alleine die Stadtwerkstatt in der Karl-Liebknecht-Straße fristet im Schatten von Billigläden ein Nischendasein. Dabei wären die filigrane Fernsehturmumbauung im Berliner Zentrum und das Gemeinschaftshaus des Studentendorfs Schlachtensee ideale Debattenorte der demokratischen Bürgerschaft.
links: Die Umbauung des Fernsehturms als begehbare Plastik, 1980 © Bilder Rainer Ahrendt;
rechts: das abendlich erleuchtete Gemeinschaftshaus im Studentendorf, 2022 © Mila Hacke
1992 gewannen die Berliner Architekten Axel Schultes und Charlotte Frank mit ihrer Idee eines Bürgerforums zwischen Kanzleramt und Paul-Löbe-Haus den städtebaulichen Wettbewerb. Während Kanzleramt und Abgeordnetenbüros längst in Nutzung sind, hat der Souverän unserer Demokratie bislang kein Zuhause. Die von Schultes und Frank vorgesehene Fläche ist mittlerweile durch die bezirkliche Straßenplanung und die Manifestierung der eigentlich nur provisorischen Erschließungswege dauerhaft blockiert. Damit ist dem Volk im Regierungsviertel nur noch die Straße als Demonstrationsfläche vorbehalten. Auch fachlicher Protest ließen die Sicherheitsstrategen nicht erweichen und machten das Bürgerforum an dieser Stelle zur historischen Idee.
So genial die Idee der Anfangsphase der vereinigten Republik gedacht war, so sehr muss sich die Demokratie nun neue Räume erobern und ihrem Souverän Orte der demokratischen Auseinandersetzung bieten. Doch einige Meter vom Roten Rathaus entfernt sowie im Berliner Südwesten böten sich Fernsehturmumbauung und das das Gemeinschaftshaus des Studentendorfs Schlachtensee als Orte der deutschen Demokratiegeschichte als würdige Debattenräume an.
Mit dem langjährigen Partizipationsverfahren zur Umgestaltung des Rathausforums und dem 2022 gekürten Siegerentwurf des Landschaftsarchitekten RMP Stephan Lenzen ist eine wichtige Etappe für die Neugestaltung dieser wichtigen Freiflächen zwischen Fernsehturm, Marienkirche und Spreeufer genommen. Auch der klimagerechte Stadtumbau und die damit verbundenen klimapolitischen Wegmarken einer Schwammstadt, neuer Pflanzzonen und attraktiver Parkflächen für die Stadtbürger sind mit dem prämierten Entwurf verbunden. Während der Koalitionsvertrag des rot-grün-roten Senats 2021 den raschen Umbau durch die landeseigene Grün Berlin GmbH noch priorisierte, ist mit dem neuen schwarzroten Senat und dem zunächst verhängten Stopp des Umbaus eine grundsätzliche Kehrtwende zu befürchten. Dabei war der im Krieg beinahe völlig zerstörte Altstadtkern und in der DDR radikal modern neubebaute Zentrumbereich in den 1970er und 1980er Jahren ein beliebter Ausgehort der Berliner. Die von Walter Herzog kühn konstruierte Fernsehturmbebauung mit ihrem schneeweißen begehbaren Zickzack-Faltwerk war nicht nur Eingang zu einem der außergewöhnlichsten europäischen Fernsehtürme, auch die großzügigen Innenräume boten der Stadtöffentlichkeit viel Platz. Eine Zeitlang waren die Berliner Stadtmodelle hier zuhause und für viele Menschen eine große Attraktion. Die Privatisierung der ehemals öffentlichen Räume, die langanhaltende Kritik an der DDR-Moderne und der für einen Moment angedachte Totalabriss der Turmumbauung führte zu einer schleichenden Verwahrlosung und Wandlung zu einem Un-Ort. In die Räume zogen Tingeltangel und touristische Leichenshow und die Außenräume bieten durch mangelnde Pflege und Verwahrlosung den Stadtbürgern heute kein Forum der Begegnung und des entspannten Aufenthalts an den ehemals beliebten Wasserkaskaden.
Dabei böte das Rathausforum nach einer Entrümpelung sowie nach denkmalgerechter Erneuerung und Umsetzung des Wettbewerbsentwurfs einen für Bewohner in Ost wie West ganz eigenes und attraktives Bürgerforum. Der Betreiber des Fernsehturms – immer noch Berlins wichtigstem Touristenmagnet – hat in den letzten Wochen den Eingangsbereich völlig neugestaltet und die ursprüngliche Eleganz wieder erlebbar gemacht. Gleiches könnte nun für die restlichen Räume als Kooperationsprojekt zwischen Landesregierung und Eigentümer umgesetzt werden. Auch die im neuen Koalitionsvertrag geforderte östliche Anlaufstelle der Landeszentrale für politische Bildung – derzeit am Ostkreuz geplant – könnte hier neben seinem Stammsitz im Amerika-Haus dauerhaft Quartier beziehen.
Und da in einer polyzentrischen Stadt wie Berlin auch die außenliegenden Stadtteile in den Blick genommen gehören und Räume des politischen Dialogs und der Stadtdebatte benötigen, könnten auch im ehemaligen Gemeinschaftshaus des Studentendorfs Schlachtensee künftig demokratische Aushandlungsprozesse wieder eine Heimat finden. Das Studentendorf Schlachtensee – wie auch das Amerika-Haus am Bahnhof Zoologischer Garten und das Haus der Kulturen der Welt ein Geschenk der amerikanischen Regierung – ist nicht nur Wohnort von rund 1.000 Studierenden aus aller Welt, es besitzt mit dem Gemeinschaftshaus auch eine historische Bühne der politischen Auseinandersetzung auf der sich Günter Grass, Götz George, Rudi Dutschke und Franz-Josef Strauß dem Publikum stellten und die 68er-Revolte mit ihren Ausgang nahm. Gemeinsam mit den Initiatoren der ersten Brandenburgischen Kulturgenossenschaft – mit der Neuen Kammerspieler Kleinmachnow eG – wird das Haus seit 2019 als länderübergreifende Kulturbühne neu belebt. 2021 präsentierte sich auch die Berlinale im Rahmen ihres Sommerfestivals im Studentendorf und zog stadtweit Publikum an. Demokratie benötigt Räume. Berlin hat diese Räume und muss sie nur für die Menschen neu nutzbar machen.
Kontakt und Information
KulturerbeNetz.Berlin
c/o Studentendorf Schlachtensee eG | Wasgenstraße 75 / Rathaus (H11)
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