Kein Abriss sozialer Infrastruktur in Moabit
Das KulturerbeNetz.Berlin fordert einen anderen Umgang mit dem Jugendzentrum in der Rathenower Straße und dessen Unterschutzstellung als Baudenkmal. Zu Beginn des neuen Jahres veröffentlicht das Denkmalnetzwerk die erste Berliner Rote Liste gefährdeten Kulturerbes.
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In Berlin Moabit plant die landeseigene WBM Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte mbH den Abriss des Jugendzentrums Moabit. Das 1969-72 von den Architekten Grötzebach, Neumann und Plessow errichtete Jugendzentrum ist nicht nur ein ungewöhnlicher Ort der Berliner Nachkriegsmoderne und des brutalistischen Architekturerbes der sozialliberalen Reformzeit der Bundesrepublik – es ist vor allem bis heute Ort für Menschen und Initiativen, die in der wachsenden Stadt kaum noch adäquate Räume für ihre wertvolle soziale und kulturelle Arbeit in Innenstadtkiezen finden. Einen solchen Ort zugunsten von Wohnbauten zu beseitigen, ist vor dem Hintergrund der aktuellen Koalitionsverhandlungen und den gemeinsam vertretenen politischen Zielen von Rot-Grün-Rot nicht nur unverständlich, sondern geradezu absurd, wird doch ein völlig gebrauchsfähiges und im Landesbesitz befindliches Gebäudeensemble einfach dem Erdboden gleich gemacht. Eine Vielzahl von Initiativen, Bewohnern und Bewohnerinnen im Kiez und Gremien der Architektenkammer und des Berliner Landedenkmalrat haben sich gegen den Abriss gestellt, sind bislang jedoch kaum zu Gehör gekommen.
Was ist das für ein in die Zukunft gerichtetes Zeichen, wenn die dringend im Moabiter Stephankiez benötigten Sozialräume alternativlos abgeräumt und durch Wohnneubauten ersetzt werden, anstatt die graue Energie des Gebäudebestandes zu nutzen, um sie fit für die kommenden Jahrzehnte zu machen? Instandhaltungsrückstau und mangelnde Pflege – auch der qualifizierten Grünräume – haben das Ensemble in den Augen einiger Betrachter vielleicht unansehnlich, aber nicht gebrauchsunfähig gemacht. Die Nutzerinnen und Nutzer sind zudem dankbar, dass die Häuser da und gebrauchsfähig sind und würden sich bei einer Bleibeperspektive stärker und auch genossenschaftlich für den Jugendcampus engagieren.
Der gemeinwohlorientierte Wohnungsbau der öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften ist ein ebenso wichtiges stadtpolitisches Ziel, nur darf er nicht gegen andere soziale Nutzungen der Daseinsfürsorge ausgespielt werden.
Die Vorgänge in Moabit sind beileibe kein Einzelfall: Immer wieder wird das Berliner Denkmalschutzgesetz von gewieften öffentlichen wie privaten Denkmaleigentümern umgangen und historische Bausubstanz wirtschaftlichen Interessen geopfert. Die betroffenen Ensembles und Gebäude werden seit Jahren nicht instandgehalten oder gepflegt, sie verwahrlosen und werden auf Verschleiß gefahren, bis sie dann irgendwann aus zumeist wirtschaftlichen Gründen beseitigt werden sollen oder allzu leichtfertig an Investoren veräußert werden.
Hierbei bietet auch der Eintrag eines Objektes in die Denkmalliste keine vollkommene Sicherheit, wenn Nutzungskonzepte fehlen oder der von außen an die Politik herangetragene Druck nur groß genug ist. Zu den bekannteren Problemfällen dieser Art zählen etwa die in die Berliner Denkmalliste eingetragenen Baudenkmale ICC am Funkturm, das Oberstufen-Schulzentrum im Wedding, der Schöneberger Gasometer oder das Dragoner-Areal in Kreuzberg. Noch gefährlicher ist es aber, wenn der Status eines geschützten Denkmals gleich ganz fehlt: Ganz akut gefährdet sind beispielsweise der Ring- und Rundlokschuppen in Heinersdorf sowie die gesichtsträchtigen Hallen des ehemaligen Flughafens Johannisthal. Jüngster prominenter Sündenfall ist der Abriss der Villa von Marlene Poelzig im Charlottenburger Westend.
Dass es auch anders geht, beweist etwa das Studentendorf Schlachtensee, welches – einst ebenfalls dem Verfall ausgesetzt – dank entsprechender Initiative aufwendig erneuert wurde und dafür kürzlich mit dem Deutschen Denkmalpreis geehrt wurde.
Über das KulturerbeNetz
Neben ihrem meist objekt- oder ortsspezifischen Einsatz möchten die im KulturerbeNetz.Berlin organisierten Initiativen zusätzlich auch einen überregionalen Beitrag für den denkmalgerechten, nachhaltigen und sozialen Umgang mit dem kulturell-gesellschaftlichen Erbe Berlin-Brandenburgs leisten. Gemeinsam wollen die Mitglieder des Netzwerks denkmalwürdigen Anlagen eine hör- und wahrnehmbare Stimme geben, indem Sie gegenüber Politik, Verwaltung, Medien, Investoren und anderen Interessengruppen für eine engagierte Denkmalpolitik eintreten und sich für die Verbreitung und Dokumentation von Denkmal-Wissen stark machen.
Damit die Stadtöffentlichkeit, die Medien und die Denkmalbehörden künftig koordinierter und frühzeitiger reagieren können, arbeitet das KulturerbeNetz.Berlin aktuell an der Veröffentlichung einer Roten Liste gefährdeten Kulturerbes in Berlin. Dort sollen perspektivisch alle denkmalwürdigen und erhaltenswerten Berliner Bauten und Anlagen erfasst und anhand einer interaktiv navigierbaren Karte abrufbar gemacht werden, die von nicht denkmalverträglichen Umnutzungen, schleichendem Verfall oder gar akutem Abriss bedroht sind. (Anm.: Hier sucht das KulturerbeNetz.Berlin aktuell noch engagierte Tipp-Geber/innen und Recherchierende. Alle Infos finden Sie hier.)
Zudem fordert das Kulturerbenetz, dass den Denkmalverbänden und Denkmalinitiativen ein Verbandsklagerecht eingeräumt wird, wenn die Interessen der Stadtgesellschaft in Fragen des Denkmalschutzes durch die Behörden nicht hinreichend gewahrt werden. Auch die Forderung nach Mitwirkung der Denkmalverbände im Landesdenkmalrat sowie die Einrichtung einer Ombudsstelle sind Bestandteile des vom KulturerbeNetz.Berlin bereits 2018 vorgelegten Forderungskatalogs, dessen Umsetzung helfen soll, unzureichende behördliche Routinen und Unterlassungen rechtzeitig zu prüfen und anzumahnen.
Kontakt und weiterführende Infos zur PM
KulturerbeNetz Berlin
c/o Studentendorf Schlachtensee eG
Andreas Barz
Wasgenstraße 75 | 14129 Berlin
info [at] KulturerbeNetz.BerIin
Direktkontakt: Andreas.Barz [at] studentendorf.berlin
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