20-jähriges Jubiläum der UNESCO-Konvention zum Immateriellen Kulturerbe – Bericht von der Jubiläumstagung des Berliner Komitees für UNESCO-Arbeit e.V. an der HU Berlin am 17. Okt. 2023
Bericht von Mila Hacke
„Wissen. Können. Weitergeben.“ ist der Slogan in Deutschland, um die Konvention umzusetzen. 2003 verabschiedete die UNESCO international mit einigen Ländern in Paris das Übereinkommen zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes. Zehn Jahre später ist Deutschland beigetreten. Frau Dr. Birgitta Ringbeck hat von ihrer spannenden und erfolgreichen politischen Arbeit und Vernetzung zwischen Bund, Ländern und der Deutschen UNESCO Kommission berichtet. Als ehemalige Leiterin der Koordinierungsstelle Welterbe im Auswärtigen Amt ist ihr die Umsetzung der Konvention in Deutschland gelungen, ohne dass ein neues Gesetz nötig war. Wir haben bei uns im Gegensatz zu einigen Ländern weltweit die Bottom-up-Methode, was bedeutet, dass sich Kulturträger selbst in ihrem Bundesland beim Beauftragten für IKE bewerben können. Die Unterstützung der Bundesländer ist recht unterschiedlich aufgestellt, in Bayern und Nordrhein-Westfalen gibt es sogar eigene Landeslisten für Immaterielles Kulturerbe.
Im Bundesweiten Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes in Deutschland gibt es aktuell 144 Einträge: 128 Kulturformen und 16 Modellprogramme zur Erhaltung des lebendigen Erbes.
In den drei UNESCO-Listen des Immateriellen Kulturerbes gibt es 677 Einträge aus 140 Ländern, davon sind sieben mit Initiative und Beteiligung von Deutschland:
Genossenschaftsidee und -praxis hat es als erste deutsche Nominierung geschafft, es folgten Blaudruck, Falknerei, Orgelbau und Orgelmusik, das Bauhüttenwesen wurde im Dezember 2020 als gutes Praxisbeispiel mit 18 Dombauhütten in fünf Ländern von der UNESCO eingetragen, diesen Herbst ganz aktuell wurden Moderner Tanz und Flößerei auf die UNESCO-Liste gesetzt! Aktuell sind das Hebammenwesen, die traditionelle Bewässerung und die manuelle Glasfertigung nominiert.
Mehr zum Jubiläum:
- Deutsche UNESCO Kommission, Bonn
https://www.immaterielles-kulturerbe.de/ - ICOMOS interview Munish Pandit, President of the ICICH
(ICOMOS International Committee on Intangible Cultural Heritage)
https://www.icomos.org/en/89-english-categories/home/128885-celebrating-the-20th-anniversary-of-the-convention-for-the-safeguarding-of-the-intangible-cultural-heritage
Immaterielles Kulturerbe der Menschheit
20 Jahre der UNESCO-Konvention zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes sind Anlass, die 10jährige Praxis in Deutschland zu beleuchten. Die Fachtagung mit ca. 45 Teilnehmern aus der Deutschen UNESCO Kommission, Institutionen und Vertretern erfolgreich eingetragener Kulturformen des „Immateriellen Kulturerbes der Menschheit“ wurde an der Humboldt-Universität Unter den Linden von Staatssekretär Friederici eröffnet. Frau Dr. Angelika Hüfner, Stellv. Vorsitzende des Berliner Komitees für UNESCO-Arbeit e.V. und Prof. Dr. Marcel Robischon, Direktor des Instituts für Genossenschaftswesen an der HU Berlin führten durch die Themen. Es waren auch Mitglieder unseres Kulturerbenetz.Berlin dabei, Mitglieder der Roten Liste bedrohter Bauten und das Ortskuratorium der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Das Tollste: die geplanten Arbeitsgruppen wurden kurzerhand aufgelöst, so dass alle Vorträge im Plenum mit Begeisterung gehört und diskutiert wurden.
Wer hätte eine so große weltweite Verbreitung der Genossenschaftsidee erwartet? Weltweit sind über 700 Millionen Mitglieder und in Europa 100 Millionen in Genossenschaften organisiert. Die soziale Bewegung aus dem 19. und 20. Jahrhundert hat den Sprung ins 21. Jahrhundert geschafft. Heute nennen sich viele genossenschaftlich organisierte Initiativen in Afrika und z.B. von Kaffeebauern in Südamerika „Consumer Cooperative“. Denn es gilt in postsozialistischen Ländern immer noch die positive soziale Genossenschaftsform gegen Vorurteile zu verteidigen, die beim Begriff „Cooperative“ entstehen, wenn an große Zwangsgenossenschaften im Kommunismus, an Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften und Zwangskollektivierung in der Sowjetunion und sozialistischen Ländern gedacht wird. Insofern geriet Deutschland gleich mit dem ersten internationalen Antrag in politische Fallstricke, die durch diplomatische Gespräche ausgeräumt werden konnten. Der Genossenschaftsgedanke ist Immaterielles Kulturerbe der Menschheit auf der Liste der UNESCO.
Eine Genossenschaft ist eine nach Mitgliederzahl offene Gesellschaft mit dem Zweck, wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Belange ihrer Mitglieder mittels gemeinschaftlichen Geschäftsbetriebes zu fördern. Damit ist es eine soziale wirtschaftliche Organisationsform, die ihre Mitglieder bei Abstimmungen gleichberechtigt ohne Rücksicht auf die Höhe ihrer Kapitalbeteiligung. Ungefähr 8000 Genossenschaften gibt es in Deutschland, von großen Agrargenossenschaften über Arbeiter, Händler bis zu den großen Volksbanken und der Raiffeisenbank sowie Baugenossenschaften, die in der Wohnungsnot durch Innovation auf dem Vormarsch sind. Aber auch Schülerzeitungen und Fördervereine werden genossenschaftlich aufgestellt, wegen der finanziell organisatorischen Vorteile. Nebenbei lernen die jungen Leute an ihren weiterführenden Schulen angewandte Demokratie. Das Genossenschaftsforum berät in Berlin zu Schülergenossenschaften und nördlich von Leipzig gibt es zum Urvater der Idee, Schulze-Delitzsch, das Genossenschaftsmuseum in Delitzsch.
Geplante Publikation
Den Tagungsband kann ich heiß empfehlen, wenn durch gutes Lektorat und Bildredaktion und neu beauftragtes Grafikdesign das Feuer der Vorträge erhalten bleibt und nun die komplexen Inhalte verständlich und packend in Buchform erscheinen. Folgende Experten haben in ihren mit PowerPoint unterstützten Kurzvorträgen das Immaterielle Kulturerbe lebendig werden lassen als auch die politischen und bürokratischen Hürden deutlich gemacht. Prof. Dr. Christoph Wulf, Vizepräsident der Deutschen UNESCO-Kommission, Vorsitzender des Fachkomitees Immaterielles Kulturerbe, Prof. Dr. Marie-Theres Albert, Institute Heritage Studies, Dr. Manfred Wilde, Stellv. Vorsitzender der Dr. Hermann-Schulze-Delitzsch-Gesellschaft und Oberbürgermeister der Großen Kreisstadt Delitzsch, Dr. Frank Thiel, Präsident der Internationalen Flößerei-Vereinigung, Dr. Vicky Kämpfe, Leuphana Universität Lüneburg, Dirk Lönnecker, Vorstandsmitglied der Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892 e.G., Mathias Fiedler, Zentralverband deutscher Konsumgenossenschaften e.V., Prof. Dr. Markus Hanisch, Leiter des Seminars für Ländliche
Entwicklung an der HU, Dr. Sebastian Mehling, Genossenschaftsforum e.V., Klaus Mindrup, MdB 2013-2021, Dr. Judith Herrmann, Kulturstiftung der Länder.
Heißt „Kulturerbe sein“, eine besondere Verantwortung zu übernehmen und wie können wir die Kulturformen traditionsbewusst und zukunftsoffen gestalten und die nächsten Generationen einbeziehen, waren Fragen der Tagung. Gelebte Kulturformen erhalten das „Wissen“ um Technik, Handwerk, Theorie in ihrer Tradition und Weitergabe des „Könnens“ ganz einfach durchs Machen, durch unendlich viele Vereine und Initiativen – seien es Chöre, von Amateuren bis professionelle Sänger, oder Menschen, die zum erstmals im Urlaub auf einem Großsegler das Abenteuer auf See erleben. Hier sind alle generationenübergreifend in einem Boot und erleben wie sie als Crew mit der zumeist ehrenamtlichen Stammcrew einen Zwei- oder Dreimaster segeln.
Persönliche Perspektive(n)
Da ich seit dreißig Jahren Stammcrew auf der Bark Alexander von Humboldt 2 bin und Mitglied in der Sail Training Association Germany, habe ich die Idee zur Eintragung gehabt, die nur klappen konnte, weil die S.T.A.G. mit ihrem Vorstandsvorsitzenden Jörg Schinzer für den Antrag maßgeblich alle Fäden in die Hand genommen hat und alle großen Segelschiffe in Deutschland, die weiteren Dachverbände GSU und Tall Ships Friends, die GSHW, die EMH und Deutsche Marine den Antrag gezeichnet haben und wir die weltweit gelebte Begeisterung der Tall Ships Races vermitteln konnten. Die Kunsthistorikerin Andrea Günther, ebenfalls „Alex-2“-Seglerin, hat den Prozess des Antragsformulierens unterstützt und beigetragen haben sowohl das Lektorat aller Unterzeichner wie auch der Rückenwind durch die akademischen Gutachten aus dem Deutschen Marine-Museum und Deutschem Schifffahrtsmuseum. Nun folgt durch die S.T.A.G. bei der Konferenz der Sail Training International eine internationale Vernetzung und Unterstützung von uns für die Antragstellung anderer Länder für die nationalen Listen.
Es folgt von der UNESCO Bonn eine kleine Evaluationstagung Anfang November, an der ich teilnehmen darf. Insofern biete ich hiermit an, Fragen, Verbesserungsvorschläge, Wünsche einzusammeln und in den Arbeitsgruppen einzubringen. Z.B. ergibt sich für unsere neue Eintragung des Sail Training nun die Aufgabe, dass alle Schiffsbetreiber diese Auszeichnung auch vermitteln, dass Presse- und Öffentlichkeitsarbeit damit wirbt. Das Gute unserer Vernetzung hat sich bereits durch Treffen und gemeinsame Planungen gezeigt. Ohnehin ist das Thema aktuell, es wurden sogar neue maritime Stiftungen gegründet. Wir wollen gern das Immaterielle Kulturerbe Sail Training auf Traditionssegelschiffen voranbringen und auch das Logo verwenden. Oder sogar die „Flotte“ flaggen?
Sail Training auf Traditionssegelschiffen wurde in das Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen – im Register Guter Praxisbeispiele. Hier geht es zu der gemeinsamen Pressemitteilung der Kulturministerkonferenz und der Deutschen UNESCO-Kommission, 15. März 2023
Aktuell hat der Deutsche Fotorat, der im Deutschen Kulturrat als neunte Sektion aufgenommen wurde, die Analoge Fotografie als Immaterielles Kulturerbe über NRW eingereicht: Analoge Fotografie – Fertigung von Bildnissen als Positiv-Unikate oder als Negative zur Vervielfältigung mittels analoger fotografischer Verfahren.
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Die Autorin ist Mitglied im KulturerbeNetz, bei ICOMOS, im BVAF, vertritt den BVAF im Deutschen Fotorat, ist in Segelvereinen und der S.T.A.G. und engagiert für die Baukultur.